DIE WOLKE

102 MinKino Alte MühleFilm
BRD/B 2006, Regie: Gregor Schnitzler, Drehbuch: Marco Kreutzpaintner nach dem gleichnamigen Roman von Gudrun Pausewang, mit  Paula Kalenberg, Franz Dinda, Hans-Laurin Beyerling, Tom Wlaschiha, Carina Wiese, Richy Müller u.a.

Die Katastrophe in Tschernobyl ist am 26.4.2006 genau 20 Jahre her – nicht wenige werden sie vergessen oder aber verdrängt haben. Die Katastrophe in Harrisburg ist 26 Jahre her – und kaum einer wird sich noch an die Details erinnern.

Ob Hannah (16) und Elmar (18), die Einzelheiten dieser beiden bisher schlimmsten Atomunfälle kennen, kann man nicht genau sagen. Warum sollten sie auch, sie haben anderes und Wichtigeres im Kopf: ihre Rolle in ihrem jungen Leben, den Stress mit Eltern und Lehrern, und vor allem dieses verstörende Gefühl der ersten Liebe. Aber sie sind wach, intelligent und neugierig, und das spricht dafür, dass sie um die Risiken der Kernkraft wissen - und sie leben in der Nähe eines Atomkraftwerks im kleine Städtchen Schlitz, circa 100 Kilometer nordöstlich von Frankfurt, das müsste sie sensibilisiert haben. Aber ist das tatsächlich so? Fast jeder in Deutschland lebt mehr oder weniger  in der Nähe eines von 17 in Betrieb befindlichen Atomkraftwerken. Weiß er deshalb, mit einer eventuellen Atomkatastrophe umzugehen?

Plötzlich passiert es: Ein Störfall in einem Kernkraftwerk südöstlich von Frankfurt erschüttert das Land. Eine riesige radioaktive Wolke tritt aus und treibt auf Schlitz zu. Alle, die in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks leben, sind sofort strahlenverseucht, in kurzer Zeit sterben 38 000 Menschen. Alle, die etwas weiter entfernt leben, versuchen zu fliehen. Auch Hannah und ihre große Liebe Elmar bemühen sich dem schrecklichen Schicksal zu entkommen.

Elmar schafft es in letzter Sekunde, Hannah jedoch wird kontaminiert. Sie ist vermutlich für immer gezeichnet.

Doch ihre junge Liebe, ebenso groß wie verzweifelt, führt sie gegen jede Vernunft wieder zusammen. Elmar besucht Hannah im Sicherheitstrakt eines Sanatoriums, berührt sie, liebt sie – und muss feststellen, dass er auf der Flucht selbst verseucht wurde. Doch so verzweifelt ihre Situation auch zu sein scheint, ihre Gefühle für einander helfen ihnen, alle Widerstände zu überwinden. Sie mögen nicht ewig leben  – am Ende haben sie aber die Gewissheit, dass ein kürzeres Leben mit einer erfüllten und echten Liebe mehr ist, als die meisten Menschen je erfahren können...

 

Dieser Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Gudrun Pausewang , die 1928 als ältestes von sechs Geschwistern in Wichstadtl (Ostböhmen) geboren wurde. 1943 fiel ihr Vater in Russland, die Mutter musste nach Kriegsende allein mit den sechs Kindern in den Westen fliehen.

Nach dem Studium war Gudrun Pausewang fünf Jahre lang in Deutschland als Lehrerin tätig, bevor sie 1956 für sieben Jahre nach Chile und Venezuela in den Auslandsschuldienst wechselte. In diesem Zeitraum bereiste sie Süd- und Nordamerika.

1963 kehrte sie nach Deutschland zurück und unterrichtete in Mainz-Kastel. Aber nur für vier Jahre während derer sie heiratete. Ein fünfjähriger Aufenthalt in Kolumbien schloss sich an, bevor sie sich, zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes, endgültig wieder in Deutschland niederließ. Bis 1989 lehrte sie an einer hessischen Grundschule.

Gudrun Pausewang ist seit 1958 schriftstellerisch tätig. Sie hat – neben Romanen für Erwachsene – zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, in denen sich ihre eigenen Erfahrungen und die Betroffenheit über die Armut in Südamerika, das Schicksal von Flüchtlingen und über die atomare Bedrohung niederschlagen. Sie engagiert sich in ihren Büchern für den Frieden, die Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Ein wichtiges Thema ist auch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Für ihr literarisches Werk erhielt sie zahlreiche Preise. Die Wolke und Die letzten Kinder von Schewenborn , ihre bekanntesten Jugendbücher, sind unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis und dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis ausgezeichnet worden. 1999 erhielt Gudrun Pausewang das Bundesverdienstkreuz.

 

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Tschernobyl - Wie kam es zum Super-Gau?

Das fatale Experiment Bereits am 25. April 1986 sollte im 4. Block ein Experiment stattfinden, bei dem überprüft werden sollte, ob die Turbinen bei einem kompletten Stromausfall im Kraftwerk noch genügend Strom liefern könnten, um die Notkühlung des Reaktors zu gewährleisten. Um das Experiment unter realistischen Bedingungen stattfinden zu lassen, wurde das Notprogramm "Havarieschutz" abgeschaltet, in dem alle wichtigen Sicherheitseinrichtungen wie die Notkühlung und das Einfahren der Bremsstäbe zusammengefasst sind. Doch der Beginn des Experiments wurde verschoben, so dass die unvorbereitete Nachtschicht des 26. April die Durchführung eines Experiments übernahm, dessen Versuchsanordnung den Reaktor praktisch schutzlos gemacht hatte.

Der Unfall Durch einen Bedienungsfehler des unerfahrenen Reaktoroperators Leonid Toptunow fiel kurz vor Beginn des Experiments die Reaktorleistung stark ab. Um sie wieder anzuheben, entfernten die Operatoren Bremsstäbe (mit denen die atomare Kettenreaktion kontrolliert werden kann) und unterschritten dabei die zulässige Minimalgrenze von 28 Stäben. Damit war der Reaktor noch schwerer zu beherrschen und in einem gefährlichen Sicherheitszustand.

Dennoch befahl der Stellvertretende Chefingenieur des Kraftwerks, Anatolij Djatlow, den Beginn des Experiments. Dabei schalteten die Operatoren zu viele Kühlpumpen zu, so dass der mit wenig Leistung arbeitende Reaktor das ihn umfließende Wasser nicht mehr verdampfen konnte. Das Wasser begann aufzukochen, und erste hydraulische Schläge waren zu hören. Akimow, der Schichtleiter, und Toptunow wollten den Test abbrechen, doch Djatlow trieb sie weiter an. Dabei sprach er die historischen Worte: "Noch ein, zwei Minuten und alles ist vorbei! Etwas beweglicher, meine Herren!" Es war 1:22:30 Uhr.

Als die Bedienungsmannschaft nun den Strom abschaltete und nur die Auslaufenergie der Turbine die Wasserpumpen antrieb, wurde wieder weniger Kühlwasser durch den Reaktorkern gepumpt. Das Wasser wurde heißer, erreichte aber nur die Siedetemperatur. Da der Reaktor nur bei verdampfendem Kühlwasser ausreichend gekühlt werden kann, begann seine Leistung anzusteigen. Es war 1:23:04 Uhr.

Spätestens an dieser Stelle wäre der Havarieschutz komplett angelaufen und hätte die Katastrophe verhindert, aber er war ja abgeschaltet. Als Akimow den sprunghaften Leistungsanstieg im Reaktor bemerkte, löste er um 1:23:40 Uhr den Havarieschutz manuell aus. Sofort wurden alle Bremsstäbe, die sich nicht in der aktiven Zone befanden, eingefahren (über 200 Stück!). Doch genau an diesem Punkt entblößte der RBMK-Reaktor seinen gravierendsten Konstruktionsfehler: Die Einfahrgeschwindigkeit der Brennstäbe ist viel zu niedrig, deutlich langsamer als in westlichen Kernkraftwerken. Außerdem befinden sich an der unteren Spitze der Bremsstäbe Graphitköpfe, welche die Kettenreaktion nur noch beschleunigen. Das Einfahren der Bremsstäbe soll die Kettenreaktion aber stoppen. Auf diesem Konzept beruht der Sicherheitsmechanismus jedes Kernkraftwerks. Der Konstruktionsfehler des RBMK führte aber genau zum Gegenteil. Da die Graphitspitzen zuerst eingeführt wurden, erhöhte sich die Leistung für einen Moment sprungartig - der letzte Schub, der "Todesstoß" für den außer Kontrolle geratenen Reaktor. Ein simpler Vergleich drängt sich auf: man fährt mit dem Auto auf einer abfallenden Gebirgsstraße und muss plötzlich eine Vollbremsung vornehmen. Beim Tritt auf die Bremse beschleunigt der Wagen jedoch...

Fatalerweise hatten sich durch die ungeheure Hitze im Reaktorkern auch noch die Kanäle der Bremsstäbe verformt und die Bremsstäbe verklemmten sich unwiderruflich. Es waren beinahe nur die reaktionsbeschleunigenden Graphitköpfe im Reaktor. Die Katastrophe war nicht mehr zu verhindern. In der aktiven Zone begann eine chemische Reaktion zwischen dem Zirkonium, das die mittlerweile geborstenen Brennstoffkammern umhüllt, und dem Dampf. Es bildeten sich Wasserstoff und Sauerstoff - Knallgas!

Um 1.23:58 Uhr zerriss eine mächtige Knallgasexplosion den Reaktor und alles, was ihn umgab. Ein großer Teil des radioaktiven Reaktorinhalts wurde nach draußen geschleudert. Glühende Teile entzündeten die Teerdachpappe der Dächer des Maschinenhauses und des benachbarten 3. Blocks. Nur der heldenhafte Einsatz von Feuerwehrleuten und Kraftwerksmitarbeitern verhinderte in dieser Nacht eine noch größere Katastrophe.

Bei der Explosion wurden zwei Männer durch herabstürzende Trümmer erschlagen. In den Wochen nach der Katastrophe starben noch weitere 30 Menschen. Sie erlagen der gewaltigen Strahlung, der sie bei ihren Rettungsarbeiten ausgesetzt waren. Unter ihnen sind Feuerwehrleute, die Operatoren Akimow und Toptunow sowie Mitglieder des Betriebspersonals des Kraftwerks.

In den folgenden Monaten kamen sogenannte "Liquidatoren" nach Tschernobyl (Soldaten, Studenten und "Freiwillige"), die das Kraftwerk dekontaminierten, weitere Gefahrenquellen eliminierten und schließlich den Sarkophag umbauten, der heute den explodierten 4. Block umschließt. Die Zahlenangaben zu den eingesetzten Personen schwanken zwischen 600.000 und 1,2 Millionen Menschen. Ebenso schwer ist eine (vorläufige) Opferbilanz zu ziehen, da nur sehr wenige Liquidatoren der akuten Strahlenkrankheit erlagen. Vielmehr sind die meisten Todesfälle auf die Spätfolgen der Verstrahlung zurückzuführen, zum Beispiel auf Krebserkrankungen, Immunschwäche-Krankheiten (sogenanntes "Tschernobyl-Aids"), Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen (Selbstmord). Je nach Standpunkt der Betrachter schwanken heute die Zahlen über alle Tschernobyl-Opfer zwischen 10.000 und über 250.000! Genau wird man es nie herausfinden. Zumal in ganz Europa, vor allem in den am meisten betroffenen Gebieten in Weißrussland und der Ukraine, noch heute "Unbeteiligte" an den Folgeschäden von Tschernobyl sterben. Vor allem die Krebs- und Kindersterblichkeitsraten steigen, in den stark verstrahlten Gebieten sogar explosionsartig. Der medizinische Zustand der Kinder, die auf verstrahlten Böden aufwachsen, ist erschreckend. Und diese Folgen werden sich nicht auf die heutigen Generationen beschränken. Tschernobyl ist vielmehr eine Katastrophe, die niemals endet.

Quelle: Google

 

Aktuell vom 24. August 2005, Bayerns Wildschweine strahlen noch immer

19 Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl sind Tiere und Pflanzen in Deutschland zum Teil immer noch stark radioaktiv belastet. Bayerische Wildschweine strahlen gar immer stärker, wie das Bundesamt für Strahlenschutz jetzt herausgefunden hat.

Salzgitter - Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat die Radioaktivität von Wildbret sowie von Pflanzen und Böden des Bayerischen Waldes messen lassen. Das Ergebnis: Noch immer leiden Tiere und Pflanzen unter der Strahlung, die 1986 durch den Atomreaktor-Unfall im Kraftwerk Tschernobyl freigesetzt wurde.

"Bei Wildschweinen steigt die radioaktive Belastung seit 1996 sogar wieder an", erklärte der Sprecher des BfS, Florian Emrich. Als Ursache für die Verseuchung gilt die Pilzart Hirschtrüffel, die auf dem Speiseplan von Wildschweinen steht. Rotwild sei dagegen weniger stark betroffen.

Der gemessene Mittelwert der radioaktiven Kontamination von Wildschweinfleisch im untersuchten Gebiet betrug laut BfS im vergangenen Jahr rund 6700 Becquerel Radiocäsium pro Kilogramm (Bq/kg). "Damit liegt die durchschnittliche Belastung von Wildschweinen um ein Vielfaches über dem Grenzwert zur Nahrungsmittelvermarktung von 600 Bq/kg Radiocäsium“, erklärte Emrich.

Die Ursache der hohen Belastung liegt darin, dass die unter der Erde wachsenden Hirschtrüffel ein besonders guter Speicher für das radioaktive Cäsium sind, das nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl vor allem über Süddeutschland niedergegangen und langsam in tiefere Bodenschichten gewandert ist. In den Hirschtrüffeln selbst wurden im Schnitt 24.700 Bq/kg gemessen. "Deshalb ist auch in den kommenden zwei Jahrzehnten nicht mit einem nennenswerten Rückgang der Kontamination von Wildschweinfleisch zu rechnen", sagte Emrich.

Deutlich niedriger belastet sind laut BfS dagegen Rehe und Rothirsche. Während bei Rothirschen mittlerweile der gesetzliche Grenzwert für die Vermarktung in der Regel unterschritten wird - 2003 übertraf keine Probe den Wert von 600 Bq/kg Radiocäsium -, betrug der bei Rehen gemessene Mittelwert im vergangenen Jahr noch 530 Bq/kg, mit deutlich höheren Werten im Herbst. Rehe ernähren sich in größerem Maße von höher kontaminierten Grünpflanzen wie Farnen und, je nach Jahreszeit, unterschiedlichen Pilzarten.

Wer für sich persönlich die Strahlenbelastung so gering wie möglich halten möchte, sollte nach Ansicht des BfS auf den Verzehr von vergleichsweise hoch kontaminierten Pilzen und Wildbret verzichten. Es sei aber "nicht dramatisch" wenn man gelegentlich ein Wildschwein-Gericht esse, sagte Emrich. Zudem seien Wildschweine aus anderen Gegenden Deutschlands weniger belastet.

Quelle: Spiegel Online vom 24. August 2005

 

Ein Gespräch mit dem Regisseur Gregor Schnitzler zur Verfilmung von DIE WOLKE

Wie kam es dazu, dass Du bei diesem Film Regie geführt hast?

Das war eine glückliche Fügung. Das Drehbuch und das Projekt gab es schon 21⁄2 Jahre. Markus Zimmer, der Produzent, hat Interesse dran gefunden und es von einer anderen Produktionsfirma übernommen. Da ich mit Markus schon einen anderen Film produziert hatte (Anm. Soloalbum) und er mich für den richtigen hielt, hat er es mir angeboten. Ich war sofort Feuer und Flamme, weil es einen Themenbereich einschließt, den ich unheimlich gerne machen wollte: Einerseits eine große Liebesgeschichte und andererseits einen politischen Film.

Kanntest Du das Buch DIE WOLKE? Ich hatte es vor Jahrzehnten gelesen. Es hatte eine extreme Intensität und hat mich damals wahnsinnig mitgenommen. Nun ist das Drehbuch schon ein bisschen anders als der Roman. Im Roman entstehen viele Dinge in der Fantasie des Lesers, beim Film muss man sie schon direkter ansprechen und auch leiten.

Was ist denn so der entscheidende Unterschied für Dich zwischen Roman und Film? Der entscheidende Unterschied ist, dass es nicht mehr eine komplette Familiengeschichte ist, sondern sich sehr auf die Hauptfigur Hannah konzentriert. Zum Zweiten ist es jetzt auch eine Liebesgeschichte - ein zentrales Thema für Mädchen im Alter von 16 Jahren, der erste Freund, der erste Kuss, die erste, Liebe.

DIE WOLKE ist eine große Liebes­geschichte im Szenario einer Atomkatastrophe. Der Film erzählt Hannas Geschichte: Eine 16jährige, die in einer Kleinstadt in Deutschland aufwächst und sich in einen Jungen verliebt, der neu in ihrer Klasse ist. Just in dem Moment, als sie sich heimlich küssen, geht der Alarm los – Atomalarm. Plötzlich befindet sie sich auf der Flucht, muss Verantwortung für ihre Familie, ihren kleinen Bruder übernehmen und es endet alles sehr tragisch. Es ist wie ein Flüchtlingsdrama, immer wieder kommen Menschen zu­sammen und gehen auseinander und am Schluss...den Schluss sollte der Zu­schauer dann am besten selbst sehen. Es ist in jedem Fall eine sehr spannende Geschichte, die einen absolut mitnimmt.

Der Film ist eine Adaption eines Millio­nenbestellers von Gudrun Pausewang, der 1987 erschienen ist. Es hat es lange gedauert, bis jetzt endlich ein Film daraus geworden ist. Ich glaube, dass zu der Zeit, als das Buch geschrieben wurde, man den Film hätte auch machen können. Die Atomkraft­problematik mit Tschernobyl war sehr präsent. Nur war es damals in Deutsch­land nicht üblich, solche Art von Filmen, sprich Katastrophenfilme, zu machen. Dann ist die Atomproblematik ein bisschen eingeschlafen, es gab immer weniger AKW NEIN DANKE Aufkleber auf den Autos, nur der harte Kern von Atomkraft­gegnern protestierte gegen die Atomtransporte. Jetzt ist wieder eine andere Situation. Der 11. September hat die Verwundbarkeit von Industrienationen aufgezeigt. Die Gefahr, dass zum Beispiel ein Atomkraftwerk von Terroristen angegriffen wird, ist sehr groß. Deswegen ist dieses Thema auch wieder präsent.

Auch die Flutkatastrophe in Asien hat die Menschen sensibilisiert. Der Mensch merkt, dass er die Umwelt nicht unbedingt kontrollieren kann und bestimmte Ereig­nisse nicht vorhersehbar sind. Was würde sein, wenn eine solche Katastrophe hier in Deutschland geschehen würde?

Wir haben es über die Jahre geschafft, diese Gefahr zu verdrängen. Im Dezem­ber war ich in Hamburg und hatte eine Schulvorführung des Films, da schauten mich alle Schüler mit großen Augen an, als ich ihnen erzählte, dass in zwanzig Kilometern Entfernung ein Atomkraftwerk steht. Natürlich rückt auch die jetzige politische Kontroverse in der Regierung über den richtigen Zeitpunkt des Atom­ausstiegs den Film Die WOLKE ins Rampenlicht.

Es wird ja auch immer wieder behaup­tet, alles sei so sicher. Wenn man davon ausgeht, dass die Katastrophe in Tschernobyl einfach auf menschliches Versagen zurückzuführen ist und allein im Jahr 2004 über 114 mel­depflichtige Zwischenfälle in den AKWs in Deutschland gegeben hat, dann weiß man, dass diese Gefahr allgegenwärtig ist.

DIE WOLKE wird aus der Perspektive von Hannah erzählt. Was macht diese jugendliche Perspektive so interes­sant? Das ist ja anders als im Buch. Der Zuschauer möchte mitgerissen wer­den, mit in eine Geschichte hinein und er will sich mit jemandem identifizieren. Hannahs Perspektive ist die eines Mäd­chens, das aus einer Kleinstadt kommt, die 16 ist, große Träume hat, in Paris studieren will – alles, was Jugendliche so machen wollen, ihr Blick ist unvoreinge­nommen. Mit dieser Perspektive geht der Zuschauer durch den Film, in die Katast­rophe. Dadurch gewinnt DIE WOLKE so große Intensität. Wenn der Zuschauer das von außen betrachten würde, dann wäre er nicht so involviert in die Geschichte.

Hannah wird von Paula Kalenberg gespielt, Elmar von Franz Dinda. Wie kam es zu dieser Rollenbesetzung? Wir haben ein Casting gemacht und zahlreiche Jungen und Mädchen eingela­den. Ich war natürlich mit dem Problem konfrontiert, nach Schauspielern in einem Jahrgang zu suchen, in dem die meisten eigentlich kaum Erfahrungen mit Schau­spiel haben. Da es ein sehr dramatischer Stoff ist und die Rollen sehr emotional und schwierig zu spielen waren, dauerte die Suche auch eine gewisse Zeit. Meine Orientierung bei der Suche war, in den jeweiligen Menschen auch die Figuren zu finden, die sie spielen sollten. Ich brauchte ein Mädchen, das Kraft, Natürlichkeit, Direktheit und Sturheit mitbringt, aber auch eine große Empfindsamkeit und Emotionalität hat. Das habe ich alles bei Paula gefunden. Sie war eine große Überraschung für das ganze Projekt, sie musste als Hauptdarstellerin den ganzen Film leiten, den Zuschauer mitziehen, den Film miterlebbar machen und das hat sie bravourös gemacht.

Für die Rolle des Elmar suchte ich je­mand, der eigentlich weiter ist als die anderen seiner Altersgruppe – ein Junge, der ein bisschen außenstehend ist, abge­klärt, keinen Anschluss an die Klassengemeinschaft finden will, der viele Dinge in der Welt schon gesehen hat, aber jetzt wegen seiner Eltern in ein kleines Kaff muss. Er wartet eigentlich nur noch darauf seinen Abschluss zu machen, um dann vielleicht auf ein College in Amerika zu gehen oder in England auf eine Universität. Franz hat die Ausstrah­lung von so einem Jungen.

Was ist Elmar für eine Figur? Er ist ein zurückgezogener intelligenter Junge, der in der letzten Reihe hinten außen sitzt. Das erste was er tut, als Hannah von ihrem Lehrer unter Druckge­setzt wird, ist, für sie einzuspringen. Er solidarisiert sich mit der Schwächeren. Aber das wird von ihr als Besserwisserisch missinterpretiert. Elmar fährt heimlich mit dem Auto seines Vaters, obwohl er keinen Führerschein hat, er wächst ohne Liebe auf, bekommt zum Geburtstag immer nur Geld geschenkt, obwohl er sich etwas persönliches wünschen würde. Und dann, er hätte es auch nicht für möglich gehalten, findet er in dieser Klein­stadt Fulda ein Mädchen, in das er sich verliebt. Damit hat er überhaupt nicht gerechnet. Es funkt zwischen den beiden und die ganze Geschichte geht los...

Wie bereitet man als Regisseur die jungen Schauspieler auf ihre schwieri­gen Rollen vor? Für mich war es wichtig wahrhaftige Menschen in realistischen Situation zu zeigen. Ich hab versucht die Schauspieler immer wieder mit eigenen Erlebnissen zu konfrontieren, ihnen vergleichbare emoti­onale Situationen als Hilfe für die jeweilige Szene zu geben. Bei Hannahs kleinem Bruder, gespielt von Hans-Laurin Beyer­ling, hatte ich das Glück, dass er selbst eine größere Schwester hat und somit die ganzen Konflikte in der Familie kennt, die im Film vorkommen. Ich erklärte ihm, was die adäquaten Unstände in seinem nor­malen Leben wären und so hat es dann sehr mit dem Spiel gut geklappt. Paula und Franz waren extrem motiviert, die haben das Drehbuch geliebt und auch ihre Figuren. Sie haben sich in allen Details vorbereitet und waren sehr versessen. Da musste ich gar nicht mehr so viel machen, nur noch lenken.

Am Ende des Drehtages habt Ihr Euch immer mit dem Team zusammen ge­setzt und habt noch mal so über die Szenen geredet. Schauspieler sind Menschen, das heißt: Jeder Mensch ist unterschiedlich und jeder Mensch braucht etwas Unterschiedliches. Manche Schauspieler möchten noch einmal über den Dreh reden, wie es ge­laufen ist, andere Schauspieler wollen eher darüber sprechen, was wir am nächsten Tag filmen. Paula z.B. hatte wirklich einen immensen Job zu leisten. Sie war eigentlich jeden Tag von den 41 Drehtage vor der Kamera. Wir hatten einen stressigen Drehplan und haben oft sechs Tage-Wochen gedreht. Der emotio­nale Stress für sie, die Figur von Hannah total aufzunehmen, mitzuerleben kostet enorme Kraft, wir haben mehr daran gearbeitet, was vor ihr liegt. Franz wie­derum ist anders, mit ihm habe ich viel über die gedrehten Szenen geredet, weil er darauf aufbauen konnte. Soweit die Zeit da war, habe ich natürlich mit meinem Kameramann Michael Mieke und meinem Regieassistenten Torsten Künstler die Köpfe zusammengesteckt und berat­schlagt, was auf uns zukommt und was wir besser machen können.

Der Roman spielt in Hessen und in Nordbayern – ihr habt viel an Original­schauplätzen, aber auch in Belgien und München gedreht. Ich wollten einen authentischen Film machen, der Deutschland realistisch wiedergibt und nicht künstlich aufbauscht, das war mir ganz wichtig. Schlitz ist nicht nur der Schauplatz des Romans. Der Ort hat etwas ganz typisch Dörfliches mit seinen Fachwerkhäusern. Deswegen habe ich bestimmte Kernmomente des Films in Schlitz und in der näheren Umgebung gedreht. Viele der Innenaufnahmen sind in München entstanden, einerseits aus logistischen Gründen, andererseits um bestimmte Fördereffekte zu erfüllen. Bei den Bahnhofszenen musste ich nach Belgien ausweichen, weil uns die Deut­sche Bahn in ganz Deutschland nicht hat drehen lassen. Der Bahnhof in Belgien war aber ähnlich strukturiert, wie der in Bad Hersfeld. Die öffentlichen Stellen in Belgien waren sehr kooperativ, mit dem Dreh hat es sehr gut geklappt. Bei den Szenen in Hamburg bin ich genauso verfahren, alles was Innen war wurde in München gedreht, die Außenszenen an Originalschauplätzen.

Ihr habt in Belgien und in Schlitz mit sehr vielen Komparsen gedreht. Wie ist es gelaufen? Für mich ist es wichtig, auch für die Kom­parsen eine Atmosphäre zu schaffen, die ähnlich einer realistischen Situation ist – zum Beispiel vor dem Bahnhof diese Panik, das Laufen, diese Schreie, diese Todesangst. Ich habe mit vielen Windma­schinen und Krach gearbeitet. Die Menschen haben sich kaum mehr gehört, als sie geschrieen haben, es flogen über­all Sachen durch die Luft. Das hat diese Panikstimmung übertragen. Auf der Lein­wand sieht jetzt alles sehr realistisch aus. Als Regisseur musst Du als ruhender Pol in der Mitte stehen, musst die Panik mit­erleben und lenken und andererseits die ganze Technik delegieren, die Kamerapo­sition, was wann wie geschieht. Es war eine riesige Erfahrung, diesen Film zu machen, vor allem wegen diesem Katast­rophenszenario, die Bahnhofsszenen, in denen man mittendrin steht und sagt: also, so könnte das sein. Man fühlt so richtig, wenn dich 400 Leute nach vorne pressen. Ich hab mit diesen kleinen Mädchen gedreht, wie verkraften die das? Kommen die damit klar? Da macht man sich schon Gedanken.

Gudrun Pausewang schreibt in ihrem Buch: „Wenn es ums nackte Überleben geht, fällt die Zivilisationstünche.“ Bei einer Katastrophe ist sich jeder selbst der Nächste. Wenn es ums nackte Über­leben geht, kann eine zivilisierte Welt leicht zusammenbrechen.

Das Genre des Katastrophenfilms ist in Deutschland kaum vorhanden. Was unterscheidet „Die Wolke“ von einem amerikanischen Blockbuster wie „The Day After Tomorrow“? Bei den amerikanischen Katastrophenfil­men ist immer die Katastrophe der Hauptdarsteller, bei DIE WOLKE sind es die Figuren. Wir folgen ihrer Geschichte und nicht der Geschichte der Katastrophe. Das ist der große Unterschied. Mir ist das Schicksal der Hauptdarstellerin wichtiger, als der Effekt des Zusammenstürzens.

Dennoch gibt es eine politische Botschaft. Na klar. Wenn ich einen Film über eine Atomkatastrophe in Deutschland mache, dann bezwecke ich auch etwas damit. Dann will ich sagen: Hey Leute, schaut mal her, was ihr selber zulasst. Die Kraft­werke stehen direkt um die Ecke von Euch und ihr wisst nicht, wie gefährlich die wirklich sind. Jeder Mensch hier kann wählen und kann damit auch indirekt bestimmen, solch eine Gefahr neben sich zu haben, oder nicht. Ich will politisch sensibilisieren, ohne didaktisch zu sagen: So müsst ihr denken. Aber jeder kann bei der Wahl sein Kreuz machen und sagen: Ich wähl eine Partei, die für Atomkraft­werke ist, oder ich wähl die Partei, die eben nicht für Atomkraftwerke ist.

Du hast als Musikvideoregisseur ange­fangen und dann mehrere Spielfilme gemacht. Hattest Du das schon im Kopf wie der Look des Films aussehen sollte? Ich habe bewusst bestimmte Farben eingesetzt, die immer weniger werden. Oder ich habe mit Kontrasten gearbeitet, die immer weniger oder stärker werden. Prinzipiell war aber der Ansatz, einen Film zu machen, der so realistisch wie möglich ist und nichts in den Vordergrund spielt. Wo du nicht sagst: Wow, tolles Haus oder tolles Auto. Am Anfang fangen wir bunter an, die Jugendlichen tragen gelb, orange, hell­blau. Sobald es mehr und mehr in die Katastrophe hinein geht, werden es immer weniger Farben, eigentlich nur noch schwarz blau und rot.

Zum gestalterischen Prozess des Filme­machens gehört das Bild genauso wie die Arbeit am Drehbuch. Wenn du im Buch­bereich Dinge festlegst, dann denkst du gleichzeitig daran, was könnte das für eine Welt sein in der der Film spielt? Wie sieht es da aus? Wie sieht die Natur aus? Was mach ich mit den Farben, was mach ich mit dem Licht, spielt es mehr in der Sonne oder sollte es mehr im Schatten sein? Von welchem Standpunkt aus schaue ich mir die Welt an? Alle Möglichkeiten, die man beim filmerischen Gestalten hat, versuche ich auszuschöpfen, ohne, dass sie in den Vordergrund rutschen.

Welches Genre bedient der Film? Ist es eine Mischung aus Katastrophenfilm und Liebesfilm, ist es das eine oder das andere... Gibt es das Genre „Liebesfilm“? Ist das dann romantische Komödie oder ein Drama? Bei meinem Film DIE WOLKE handelt es sich eigentlich um einen Epos, eine Mischung aus Drama und Katastro­phenfilm.

Welches Publikum wollt Ihr erreichen? Jugendliche, die im ähnlichen Alter wie Hannah sind, vielleicht ein bisschen jün­ger, die in dieses Gefühl der ersten Liebe tauchen können, die aber auch mit dem Thema des Kraftwerkunfalls etwas anfan­gen können. Jugendliche mit einem politischem Bewusstsein, die mit dem umgehen können, was da gezeigt wird. Es ist ein sehr leidenschaftlicher Film mit lauten und leisen Tönen, aber auch ein sehr harter Film, wo du sagst: Augen zu, das will nicht unbedingt jeder sehen. Die andere Zielgruppe sind natürlich ganz klar, alle die den Roman DIE WOLKE gelesen haben und schauen wollen, wie der Film den Roman umsetzt..

Gregor Schnitzler, wir bedanken uns bei Dir für das Gespräch.

Quelle: S&L Medienproduktion

 

„Ich möchte warnen!“

Ein Gespräch mit der Autorin Gudrun Pause­wang zur Verfilmung von DIE WOLKE

Wie sind Sie 1987 auf das Thema der atomaren Ka­tastrophe von DIE WOLKE gekommen? Noch fünf Minuten vor der ersten Tscher­nobyl-Katastro­phen­meldung in den Medien habe ich nicht im Traum daran gedacht, über dieses Thema zu schreiben. Aber als die Mel­dungen über Tschernobyl Tag für Tag rein­kamen, ha­ben wir die Fol­gen der Katastrophe auch hier in Deutsch­land registriert. Die Kinder durften nicht mehr in den Sandkästen spie­len, die Bauern mussten das Früh­jahrsgemüse unter­pflü­gen, weil es ver­seucht war. Und vieles mehr. Da habe ich mir na­türlich mit meiner lebhaften Phan­tasie ge­dacht, wie sähe denn so eine Katastrophe aus, wenn sie nicht 1.500 km von unse­ren Landes­gren­zen entfernt, sondern mitten in un­serer dichtbesiedelten Bun­desrepu­blik statt­fände? Das hat mich sehr be­wegt und ging mir un­ter die Haut. Ich dachte, ei­gent­lich muss man vor einer solchen Katastrophe warnen.

Sie haben das Buch ge­schrieben und es gab sehr viel Lob. Wie war der Te­nor der Zuschriften, die Sie be­kom­men haben? Das Thema Atomkraft­nutzung war da­mals sehr im Gespräch. Die Umwelt­be­wegung hat die Atom­kraftnutzung abge­lehnt. Ich identifizierte mich mit die­ser Mei­nung und das Echo, das mich erreicht hat, nach­dem das Buch veröffentlicht wurde, war sehr positiv. Ich werde nie vergessen, dass mir ein zwölf­jähriger Junge einen Brief ge­schrieben hat. Zwölf­jährige Jungs schrei­ben nicht gerne Briefe, aber er hat ihn mir ge­schrieben – privat und nicht von der Schule als Auf­gabe gestellt. Dieser Brief war kurz und lakonisch: „Liebe Frau Pau­sewang, wir haben im Unterricht ihr Buch DIE WOLKE als Klassenlektüre gelesen und ich wollte Ihnen hiermit nur kurz mitteilen, dass ab sofort die Atom­industrie einen Geg­ner mehr hat. Herzli­che Grüße“ und dann die Unter­schrift. Solche Zu­schriften, auch wenn es Kinder waren, ha­ben mir ge­zeigt, dass ein Buch viel bewir­ken kann.

Sie haben 1988 für DIE WOLKE den deutschen Jungendliteraturpreis ge­won­nen. Der Preis wurde Ihnen von Frau Rita Süss­muth (Anm.: damals die Familien­ministerin) über­reicht - gegen den Willen ihrer eigenen Partei, der CDU. Es gab einen politi­schen Eklat. Es gab große politische Prob­leme, als mein Buch den Ju­gend­literatur­preis be­kommen sollte. Zum ersten Mal wurde deutlich, dass es ein Staats­preis ist. Eine unabhängige Jury von Buchhändlern und Literaturkritikern sucht das Buch aus, von dem sie meint, dass es den Preis ver­dient. Sie gibt dann ihre Entscheidung an das Familienminis­terium weiter. Der Preis wird - auch heutzutage noch - von der Fa­milienmi­nisterin übergeben. Damals entstand die Situation, dass ein Buch den Jugendli­teraturpreis be­kom­men sollte, dass nicht die politische Mei­nung der Regierung, sondern die der Opposition ver­trat. Mir wurde erzählt, dass die Atom­industrie alles versucht hat, um zu verhin­dern, dass DIE WOLKE den Preis be­kommt. Auch im eigenen Haus, also im Familienmi­nisterium, scheinen Gegen­stimmen ge­gen dieses Buch laut gewor­den zu sein. Aber ich rechne Rita Süss­muth hoch an, dass Sie selbst ent­schie­den hat, ob das Buch den Preis be­kommen soll oder nicht. Und Sie hat mir den Preis gegeben.

Sie thematisieren gefährli­che Ent­wicklungen inner­halb der Gesell­schaft nicht nur in Ihrem Buch DIE WOLKE, sondern auch in vielen an­deren Bü­chern.   Vorsicht, so ist das nicht. Ich werde im­mer so dargestellt, als ob ich nichts als Katast­ro­phenbücher schreibe. Aber wenn man es genau nimmt, sind es von den 83 Büchern, die ich bisher geschrieben habe, sechs. Ich erzähle auch nicht um der Ka­tastrophen Willen, sondern um des Prob­lems Willen. Zum Beispiel bin ich gegen die krie­geri­sche Nutzung der Atomener­gie, und dazu habe ich ein Buch geschrie­ben. Ich wollte oder hätte mir gewünscht, es nicht schreiben zu müssen. Ich schreibe lieber über andere Themen als über Katastro­phen. Aber leider Gottes sind eben diese Themen oft mit der Ge­fahr, die von Ka­tastrophen ausgehen, verbunden.

Im Grunde genommen ha­ben Sie die Frage, worum genau es in ihrer Er­zäh­lung ging, schon beantwortet... Ich möchte deutlich ma­chen, was für eine Gefahr von unse­ren Atomkraft­werken ausgeht. Natürlich ist mir klar, dass un­sere deutschen Atom­kraft­werke sicherer sind als z.B. weiß­russische, ukrainische oder russische. Aber absolut sicher ist nichts. Das hat man ja auch bei dem Unfall im Atom­kraft­werk Harrisburg in den USA gese­hen. Also auch dort, wo man eigent­lich eine sehr große Sicher­heit vermu­ten könnte, wäre fast eine Riesenkatastro­phe passiert. Ich möchte davor warnen und versuche, schon jun­gen Men­schen klar zu machen, was un­ter Um­ständen für eine Ka­tastrophe auf uns zu­kommen könnte. Wenn so etwas pas­sieren würde wie in Tscherno­byl, wäre das in un­serem dicht besiedelten Land noch viel schlim­mer. Es hätte viel grö­ßere Folgen als in einer dünn besie­delten Gegend wie der Ukraine oder Weißrussland.

Sie erzählen aus der Per­spektive ei­ner Schülerin. Sie hätten ja auch aus einer sachlichen neutralen Per­spek­tive schreiben können. Dennoch ...die Sicht der Hannah. Warum? Wenn ich ein Buch für Ju­gend­liche schreibe, muss ich mir überle­gen, wie ich junge Men­schen dazu bringe, dieses Buch zu lesen. Es muss ein erzäh­lendes Buch sein, und es muss eine Identifikati­onsfigur vorhanden sein. Da weitaus mehr Mäd­chen als Jungen Bü­cher lesen, habe ich eine weibliche Iden­tifikationsfi­gur genom­men, 14 Jahre alt, knapp 15. Ich lasse im Verlauf dieser Handlung aus ihr, ei­nem unbe­schwerten Teenager, ei­nen reifen Menschen wer­den. Sie er­lebt Furchtbares, aber sie überlebt.

Die Handlung spielt aus damali­ger Sicht gesehen in der Zukunft, in den 90er Jahren, aber sie spielt in Hes­sen. Wie kamen Sie auf Hessen? Ja, wieso gerade Hessen? Ich hätte die Geschichte sehr viel lieber nach Ham­burg verlegt, denn die Stadt war da­mals von vier Atomkraftwerken um­stellt. Das Ham­burg am nächsten ge­legene Atom­kraft­werk ist Krümmel. Wenn da­mals Krüm­mel eine Havarie gehabt hätte, wäre Ham­burg ganz schwer getroffen worden. Nur mein Problem war: Ich kenne Hamburg nicht. Um für ein Buch die ganze Atmo­sphäre und die geogra­phi­schen Ei­genheiten ei­ner Ge­gend be­schreiben zu können, muss man eine Weile dort gelebt haben. Ich hätte mir also vornehmen müssen, min­destens sechs Wo­chen in Hamburg zu leben. Das konnte ich zu der Zeit nicht, weil ich als Lehrerin gearbeitet habe. Also musste ich mir eine andere Gegend suchen, die ich gut kenne. Was lag näher als die Ge­gend zu nehmen, in der ich selbst wohne? Und das ist Ost­hessen.

DIE WOLKE wurde zu einem Best­sel­ler. Heute ist das Buch immer noch Pflicht­lektüre in der Schule. Die Ju­gend­buch­redaktion der SZ hat DIE WOLKE als eine der 50 Meisterwerke in ih­rer jun­gen Bibliothek auf­genom­men, das wissen Sie wahrscheinlich auch. Und jetzt wird das Buch verfilmt! Die Verfilmung dieses Bu­ches hat mich sehr gefreut. Am Anfang war ich sehr skeptisch, bevor ich das Drehbuch gele­sen habe. Aber das, was ich mit meinem Buch sagen wollte, kommt voll rüber und damit bin ich ein­verstan­den. Sonst hätte ich mich ge­wehrt. Einiges im Film ist an­ders als in meiner Erzählung, dass ist ganz normal, denn ein Film kann nicht haargenau jede Szene des Buches nachspielen. Es muss ge­rafft werden. Was mir besonders ge­fällt, ist, dass der Schluss des Films Hoff­nung signali­siert. Das habe ich mit mei­nem Buch auch getan.

Warum ist das Thema heute noch so aktuell wie da­mals? Ich glaube, das Thema ist deswegen noch so aktuell, oder wieder so aktuell wie damals, weil jetzt eine ganz neue Variante der Gefahr da­zu­kommen ist, näm­lich die terroristische Gefahr. Es könnte ein Atom­kraftwerk von oben her angegriffen wer­den. Von oben wäre es unge­schützt. Und ganz egal, wer ein Atomkraftwerk angreift oder was auch der Anlass sein mag, dass da eine Ka­tastro­phe passiert, die Folgen sind gleich verheerend.

In den 80er Jahren gab es noch De­monstrationen und Proteste. Warum ist dieses Thema mittlerweile aus der Öffent­lichkeit verschwun­den? In unser Gesellschaft spielt der Unter­haltungswert eines Un­glücks eine ganz große Rolle. Ich erinnere mich z.B. an den Golfkrieg 1991. Vor Beginn des Golfkriegs war eine unge­heure Auf­re­gung in unserer Gesellschaft. Die Schüler gin­gen auf die Straße und haben de­monstriert. 14 Tage später wurde das Thema kaum mehr ir­gendwo erwähnt, nur so un­ter ferner liefen. Es hatte kei­nen Unterhaltungswert mehr. Ganz ähn­lich, so vermute ich, verhält es sich auch mit dem Thema Atomkraftnutzung oder der Gefahr, die von Atomkraftwer­ken aus­geht. Es muss erst et­was passieren, bevor dieses Thema wieder in aller Munde ist. Es ist sehr traurig, das zu sa­gen, aber wir sind nun mal so, wir Menschen.

Wenn in Deutschland eine Atom­katast­rophe passiert, ist unser Land über­haupt gewappnet, um Maßnah­men zu er­greifen? Das Land ist überhaupt nicht auf so eine so Katastrophe vorbe­reitet. Auch die Katast­rophenschutz­pläne in den Kreisen, in denen Atom­kraft­werke ste­hen, genü­gen nicht. Diese Pläne sind oftmals auch gar nicht mehr aktuell. Mir hat z.B. eine Schulklasse aus dem Umland eines Kraftwerkes geschrie­ben. Diese Schul­klasse hat sich nach der Lektüre mei­nes Buches den für sie zu­stän­digen Katastro­phenschutz­plan vom Landratsamt geholt und ihn durch­gele­sen. Die Schüler haben zu ihrer Überra­schung festgestellt, dass in ihrem Schul­gebäude für die ganze Stadt Jodtab­letten gespeichert sein sol­len. Außerdem sei die­ses Gebäude dazu vorgese­hen, dass sich im Ernstfall aus dem ganzen Viertel Leute, die kein Auto haben, in diesem Schulhaus einfinden und auf den Abtransport war­ten sollen. Dar­aufhin sind diese Siebt­klässler zu ih­rem Schul­leiter gegangen und haben gefragt, wo denn die Jodtab­letten lägen? Da hat der Schulleiter ge­sagt: „Was? Jodtabletten? Wovon sprecht ihr eigent­lich?“ Der Schulleiter wusste von nichts. Die Jod­tabletten gab es in der Schule nicht, und davon, dass sich die Leute im Ernstfall im Schulge­bäude ein­finden sol­len, wusste er auch nichts. Daran kann man erkennen, wie es im Ernstfall klap­pen würde.

Oder z.B. Schweinfurt: Dort soll geplant ge­wesen sein, dass bei einer Ka­tastro­phen­schutzübung alle Busse aus der Umgebung nach Schweinfurt fahren, um die Bewohner abzuholen. Und da soll ein Reporter ein paar Busfahrer gefragt ha­ben, ob sie im Ernstfall auch in die Stadt hineinfahren wür­den. Da haben die ge­sagt: „Um Gottes Wil­len. Wir fahren doch nicht in die Stadt rein. Aus dem Verkehrs­chaos. kämen wir nicht wieder raus. Außerdem sind uns un­sere Fami­lien im Ernstfall erst mal wich­tiger.“

Das Interessante am Buch ist nicht nur die Katastro­phe, sondern auch, wie sich danach die Gesell­schaft ver­än­dert. Ein gro­ßes Thema. Sie be­schrei­ben eine Zwei-Klas­sen-Gesell­schaft, die Energie­krise, den Le­bensmittel­not­stand, dass die Gren­zen dicht ge­macht werden. Ist dieses Szenario realis­tisch? Ich halte das Szenario, das ich in mei­nem Buch beschreibe, für sehr realis­tisch. Ich schreibe ja nicht aus purer Phantasie, sondern habe ähn­liche Zei­ten noch ganz be­wusst miterlebt. Unmittel­bar nach dem Krieg, als die Flüchtlinge und die Vertriebenen in die Regionen kamen, wo sie nun unter­gebracht wer­den sollten, gab es auch ein Zwei-Klas­sen-System. Da wa­ren die Alteingesesse­nen, die zwar auch Ver­wandte verloren hatten durch den Krieg. Viel­leicht waren sie auch aus­ge­bombt, aber insgesamt haben sie doch das bes­sere Los ge­zogen gegen­über den Ausge­wiesenen zum Beispiel aus dem Su­deten­land oder aus Schlesien, die gar nichts mehr hatten.

Das Zwei-Klassen-System wird sich in jeder großen Notlage deutlich entwi­ckeln. Und man kann jetzt schon, obwohl noch keine Katastrophe passiert ist, aber wir insgesamt ärmer werden, beobach­ten, dass die Schere zwi­schen Arm und Reich immer weiter auseinan­der klafft.

Sie wollen mit dem Buch nicht nur aufklären und aufrütteln, sondern auch die Hoffnung auf eine bes­sere Zu­kunft wecken. Wer oder was sind die Trä­ger der Hoffnung? Die Hoffnung in DIE WOLKE liegt darin, dass alle, die die Fol­gen der Katastro­phe mit­erleben, merken: So geht’s mit unse­rer Gesellschaft nicht weiter. Wir müssen vielmehr zwischen­menschliche Beziehun­gen bilden für ein soziales Netz, das in solchen Situationen die Menschen auf­fängt und sie nicht iso­liert und allein lässt. Vor allem aber be­steht die Hoff­nung darin, dass man end­lich begreift, es muss auf andere Ener­gie-Gewin­nungs­mög­lichkeiten ausgewi­chen werden. Die­ses Risiko, das noch für Generationen danach furchtbare Folgen ha­ben würde, muss verschwin­den.

Glauben Sie, dass in den Schulen gerade die jungen Leute zu wenig darauf auf­merksam gemacht wer­den wie hoch die Gefahr eigentlich ist? Es sind ja noch 17 Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb. Es kommt ganz auf die politi­sche Ein­stellung der Eltern und auch der Lehrer an, ob sie ihren Kindern oder den Schü­lern die Gefahr deutlich ma­chen. Sie wird ja von vielen verdrängt mit der Be­grün­dung, es passiert ja nichts. Aber es hängt auch ein bisschen von den eige­nen Ge­danken der jungen Men­schen ab, wie weit sie sich das durchdenken. Ich glaube, wir unterschätzen un­sere jungen Leute. Sie lassen sich nicht ihre Vorstel­lung, ihre Denkweise und ihre Denk­richtung von Erwachsenen vor­schreiben. Nicht alle, aber viele wollen das selbst über­nehmen. Ich glaube, im Ernstfall würden unsere jun­gen Leute, die junge Genera­tion, ganz hervorragend rea­gie­ren. Ich kann immer nur beteuern, un­sere Jugend ist bes­ser als ihr Ruf.

Was kann ein Kinofilm wie DIE WOLKE in der Öffent­lichkeit bewir­ken? Der Kinofilm kann in der Öf­fentlichkeit den Menschen, die bisher über so etwas noch nicht nachgedacht haben, Denk­anstöße bieten und ihre Phan­tasie anre­gen. Er kann ihnen deut­lich machen, was eine solche Katastro­phe für Auswirkun­gen hätte. Man sieht ja jetzt auch schon deut­lich, was für Aus­wirkungen die Tscherno­byl-Katastrophe in der Ukraine hat. Es sind dort noch nie so viele miss­gebil­dete Kin­der geboren wor­den wie jetzt nach dieser Ka­tastrophe. Und das wird noch Generationen anhal­ten.

Sie haben 1986 die Folgen der Ka­tastrophe von Tschernobyl sehr be­wusst miterlebt. Damals, nach den ersten Mel­dungen von Tschernobyl, war auch bei uns in Deutschland die Welt nicht mehr in Ord­nung. Was mich zum Beispiel ungemein be­eindruckte: Es wurde dringend abge­raten, sich ins Gras zu setzen. Das war ja bisher das Selbstverständlichste gewes­sen, was es überhaupt gab. Auf einmal war sogar das gefähr­lich. In der Schule gab es wichtige An­ordnungen, z.B. durf­ten wir Lehrer in der Grundschule die Schüler in der großen Pause nicht raus lassen, wenn es vorher geregnet hatte, weil der Regen und da­mit auch der ganze Schul­hof verseucht war. Mich bestürzte es damals sehr, als be­kannt wurde, dass wir in Deutschland fast keine Kran­kenhäuser mit Ärzten ha­ben, die sich mit dieser Ver­seu­chung ausken­nen. Ich hörte, dass angeblich in Hamburg damals nur vier Betten für Ver­seuchte vorgesehen waren. Wo hätten denn die Tau­sende anderer Verseuchter unterge­bracht und gepflegt werden sol­len? Wenn es zu einer sol­chen Katastro­phe käme, dann gäbe es bei uns ein un­glaubli­ches Chaos, das wahr­schein­lich noch viel grö­ßer wäre als das Chaos in New Orleans (Anm. nach der Flut­katast­rophe).

Wie kann man sich dage­gen schützen? Das Volk muss Druck auf die Politiker ausüben: Wir wollen keine Atomkraft­werke in unserem Land! Auch nicht in anderen Ländern! Fördert die Entwick­lung alternativer Energiegewinnungs­möglich­keiten!

Was sind denn ihre Wün­sche für die Zukunft? (lacht). Ich wünsche mir grundsätzlich, dass unsere Gesell­schaft und nicht nur unsere Gesell­schaft, mehr abrückt vom ,Ich’ und sich hinbewegt zum ,Wir’. Die zwi­schenmenschlichen Beziehun­gen sollten stärker werden, da­mit unsere Ge­sellschaft nicht so bleibt, wie sie ist, son­dern so wird wie sie ei­gentlich sein sollte.

Ich halte den Menschen nicht für die Krone der Schöpfung. Einstein sagte mal: „Der Mensch ist eine schlechte Erfin­dung!“ Ich glaube, da hat er nicht ganz unrecht. Aber wir haben einen freien Willen und wir können uns durchringen, auch Dinge zu tun, die uns schwer fallen, also abgeben, teilen und vor allem Kriege vermei­den.

_ Frau Pausewang, wir be­danken uns bei Ihnen für das Gespräch. _

Quelle: S&L Medien­produk­tion vom 13.9.2005

    

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